Zeitschriften als Instrument der Leseförderung

Dr. Simone Ehmig: Zeitschriften als Instrument der Leseförderung

14,5 % der 15-Jährigen haben laut PISA-Studie 2012 unzureichende Lesekompetenzen. Sie stehen exemplarisch für leseschwache Kinder und Jugendliche, die einer Förderung ihrer Lesekompetenzen bedürfen. Gefährdet sind v. a. Kinder und Jugendliche aus sozial und bildungsbenachteiligten Familien sowie Jungen. Neben Kompetenzen unterscheidet die (fehlende) Lesemotivation leseferne Kinder von Lesebegeisterten.

Lesebegeisterte haben überwiegend positive Erfahrungen mit und Vorstellungen vom Lesen. Sie lesen gern, häufig und intensiv. Bücher und andere textbetonte Medien, z. B. Zeitungen, bilden einen selbstverständlichen Teil ihres Alltags und der Freizeitgestaltung. Leseferne verbinden mit dem Lesen eher negative Erfahrungen und Vorstellungen. Meist ohne Lesevorbilder in der Familie und Impulse wie Vorlesen aufgewachsen, lesen sie selten oder nie, obwohl sie ein ausgeprägtes Bewusstsein dafür haben, dass Lesen bedeutsam ist. Leseferne verbinden „Lesen“ meist eng mit dem gedruckten Buch und hoher Literatur. In ihren Augen steht Lesen für eine Bildung und einen gesellschaftlichen Status, die zu erreichen für sie in weiter Ferne liegt.

Für die Leseförderung bedeutet die Ansprache leseferner Jugendlicher eine große Herausforderung. Um Lesemotivation zu wecken, müssen Angebote möglichst niedrigschwellig sein und Jugendliche bei ihren individuellen (Frei-zeit-) Interessen packen, thematisch aktuell und variabel sein und möglichst geringe Anforderungen an Lesekompetenzen und Ausdauer stellen, aber eine hohe (emotionale) Attraktivität besitzen.

Diese Bedingungen bringen Zeitschriften als Einstiegs-Lesemedium für Leseferne ins Spiel. Sie sind meist bildstark und enthalten kurze Texte zu einer Fülle von Themen. Jeder kann das, wofür er / sie sich interessiert, in einer Zeitschrift finden: Laut Verband Deutscher Zeitschriftenverleger liegt die Zahl der Zeitschriftentitel im Jahr 2017 bei 1.607. Anders als gedruckte Bücher sind Zeitschriften in bildungsfernen Milieus „salonfähig“, d. h. Jugendliche können sich in ihrem Umfeld mit einer Zeitschrift sehen lassen und finden darüber ggf. sogar Themen für Anschlusskommunikation. Diese kann sich gesprächsweise wie auch über soziale Netzwerke ergeben: Viele Publikumszeitschriften haben Onlineangebote wie Seiten bei Facebook.

Die Stiftung Lesen nutzt gemeinsam mit dem Bundesverband Deutscher Buch-, Zeitungs- und Zeitschriften-Grossisten e. V. und dem Verband Deutscher Zeitschriftenverleger e. V. die Vorteile von Zeitschriften: Im Rahmen des Projektes „Zeitschriften in die Schulen“ werden jährlich vier Wochen lang bis zu 13.000 Schulklassen bundesweit mit Zeitschriften versorgt, die altersgerecht für Jugendliche an weiterführenden und berufsbildenden Schulen sind. Zentrales Anliegen ist es, Schüler/-innen neben der Einbindung von Zeitschriftenthemen im Unterricht Gelegenheit zu geben, sowohl in der Schule als auch zu Hause zum Vergnügen zu lesen. Titel wie Dein Spiegel, GEOlino und 11 Freunde, Auto, Motor und Sport oder Bravo, Mosaik, Hey! und Focus, Stern oder Hörzu sollen Lust am Lesen wecken.

Eine begleitende Studie, die die Stiftung Lesen 2011 veröffentlichte, zeigt, dass Zeitschriften gerade bei den Kindern und Jugendlichen eine motivierende Wirkung entfalten, die zuvor die größten Widerstände gegen das Lesen zeigten. Zeitschriften wirken auch dem oft drastischen Rückgang der Lesemotivation von Jugendlichen im Laufe der Pubertät entgegen. Sie tragen dazu bei, einen Zugang zum Lesen zu erhalten, der ohne sie verloren zu gehen droht. Zeitschriften brechen Widerstände gegen das Lesen, weil sie schnell damit überzeugen, dass Inhalte ohne große Mühe und Aufwand zugänglich sind. Es fällt leicht zu entscheiden, ob es sich „lohnt“ in Texte einzusteigen oder weiterzublättern. Dies hilft besonders Kindern und Jugendlichen, die nur mühsam flüssig lesen. Das Interesse, das Zeitschriften bei Lesefernen weckt, lässt sich in der Leseförderung nutzen, um über attraktive Themen andere (Lese-) Medien ins Spiel zu bringen und damit das Lesen in den Lesewelten zu verankern.

Zeitschriften bieten die Möglichkeit, Zielgruppen „maßgeschneidert“ über Themen anzusprechen. Dies ist ein Vorteil gegenüber Büchern. In der Abgrenzung zum Buch liegt ein zentrales Wirkpotential von Zeitschriften, weil sie die einseitige gedankliche Verknüpfung von „Lesen“ mit „Buch“ aufweichen und das Lese-Image verbessern, was längerfristig positiv auf das Buch-Image zurückstrahlen kann. Einige Buchverlage nutzen solche Transfer-Effekte mit Hybrid-Produkten aus Büchern und Comics, im Idealfall auch digitalen Angeboten wie Apps, Spielen etc., die das Leseerlebnis multimedial einbinden.

Zur Autorin

Dr. Simone Ehmig ist Leiterin des Instituts für Lese- und Medienforschung der Stiftung Lesen. Sie studierte in Mainz Publizistik, Deutsche Philologie und Kunstgeschichte und arbeitete im Anschluss am Institut für Publizistik an der Universität in Mainz vor allem zu Themen der politischen Kommunikation und Journalismusforschung.