Hip Hop als Leseförderung

Dr. Steffen Gailberger: Hip Hop als Leseförderung

Die Forschung ist sich einig: Leseförderung muss auf mehreren Ebenen betrieben werden, damit sie auch wirksam werden kann. Hierzu gehören beispielsweise eine ausreichende Motivation und lernbegleitende positive Emotionen wie Spaß, (Vor)Freude oder Stolz (auf der sogenannten Subjektebene des Lesens) sowie eine eben von solchen Emotionen abhängige Aufwertung des Lesens in Schule und Freizeit (auf der sogenannten sozialen Ebene des Lesens). Gelingt es uns, eine solche Verbindung herzustellen, ist schließlich der Weg dafür bereitet, auch das Lesen an sich (auf der sogenannten Prozessebene) zu fördern. Eine ‚reine‘ Förderung ausschließlich auf der kognitiven Prozessebene des Lesens kann und wird nicht gelingen. (vgl. Gailberger 2011; Rosebrock/Nix 2008)

Besteht nun der Plan, mithilfe von Hip-Hop Leseförderung zu betreiben, kann das Lesen auf allen drei oben genannten Ebenen gefördert werden, was Hip-Hop somit zu einem Fördermedium macht, dem vielleicht noch viel mehr Beachtung geschenkt werden sollte. Eine auf Hip-Hop gestützte Leseförderung (wie sie hier skizziert werden soll) stellt einen Mix aus sogenannten begleitenden und wiederholenden Lautleseverfahren dar, mit denen vor allem die Leseflüssigkeit schwach lesender Kinder und Jugendlicher gefördert werden kann. (vgl. Gailberger/Nix 2013, S. 57f.)

Leseförderung mit Hip-Hop eignet sich sowohl für Grundschüler, besser aber noch für Jugendliche der Sekunda-stufe. Je nach Altersstufe ist also darauf zu achten, mit welchen Texten gearbeitet werden soll, d.h. welche Künstler dazu ausgewählt werden können. Es soll hier für eine Auswahl von deutschen Hip-Hop-Texten jenseits von Rappern wie Bushido oder Haftbefehl plädiert werden, d.h. also jenseits von Vertretern eines Hip-Hops, der sich systematisch homophober, chauvinistischer und/oder fremdenfeindlicher Klischees bedient. Allerdings ist mir bewusst, dass ehemalige Skandalrapper wie etwa die Kunstfigur Sido innerhalb von (v. a. jüngeren) Lehrerkollegien mittlerweile wohlwollen kontrovers diskutiert werden. Meine Vorschläge zur Arbeit mit diesem Musik-Genre gehen allerdings in die Richtung quasi ‚zeitloser‘ Hip-Hop-Bands wie Fettes Brot, Die Fantastischen Vier, Die Absoluten Beginner, Freundeskreis, Jazzkantine, Deichkind etc. Aber auch die Arbeit mit aktuell erfolgreichen Bands wie Deine Freuden, deren Zielgruppe Kinder und Jugendliche zwischen 8 und 14 Jahren sind, bietet sich vorzüglich an.

Der Ablauf einer Leseförderung mithilfe von Hip-Hop gestaltet sich in sechs Schritten:

  • Schritt 1: Einteilung der Jugendlichen in Dreier-Gruppen. Bei Wunsch können sich die Gruppen einen ansprechenden Namen geben (z. B. Die rappenden Deppen o.ä.). Danach erfolgt die Wahl des ersten Songs aus einem allen Kindern und Jugendlichen bekannten Pool möglicher Stücke.
  • Schritt 2: Anschauen des dazugehörenden Videos über die einschlägigen Videoportale (YouTube o. ä.). Dazu nötig sind ein Beamer oder ein interaktives Whiteboard inklusive Rechner, Tablet oder Smartphone mit Internetzugang sowie gute Boxen für das Anhören des Songs. Mehr und mehr Kinder und Jugendliche besitzen ein internetfähiges Smartphone, so dass im Sinne der individualisierenden Binnendifferenzierung das gemeinschaftliche Ritual auch entfallen bzw. individualisiert werden könnte.
  • Schritt 3: Erste Begegnung mit dem schriftlichen Text und Förderung der Leseflüssigkeit durch das Prinzip der Wiederholung, indem jedes Gruppenmitglied eine Strophe des Songs übernimmt und diese so lange wiederholend (leise für sich) liest, bis sie geläufig laut vorgelesen werden kann.
  • Schritt 4: Tausch der Strophen innerhalb der Gruppen nach dem Rotationsprinzip, bis alle mit allen Strophen geübt haben und diese nun geläufig vorlesen können.
  • Schritt 5: Abschluss der ersten Runde durch gemeinsames (chorisches) Lesen in der Gruppe oder durch freiwilliges Vorlesen einzelner Mitglieder.
  • Schritt 6 ff.: Neustart mit der Wahl des nächsten Songs. Anschließend wiederholen sich die Schritte 1 bis 6, so lange die Förderung betrieben werden soll.

Unabhängig vom Genre Hip-Hop sollten Leseflüssigkeitsprojekte grundsätzlich mindestens drei, besser noch sechs bis acht Wochen durchgeführt und dabei drei bis vier Mal die Woche für 20 Minuten wiederholt werden. Ist dies organisatorisch möglich, können durch ein solches Projekt signifikante Verbesserungen der Kinder und Jugendliche auf allen drei Ebenen des Lesens erwartet werden.

Zum Autor

Dr. Steffen Gailberger ist Akademischer Rat an der Ruhr-Universität Bochum, u. a. mit dem Schnittstellenbereich zwischen Lesen und Hören als einem Schwerpunkt seiner Forschung. Darüber hinaus berät er die Akademie für Leseförderung Niedersachsen wissenschaftlich.

Literatur:

Gailberger, S. (2011): Lesen durch Hören. Leseförderung in der Sek. 1 mit Hörbüchern und neuen Lesestrategien. Weinheim und Basel: Beltz.

Gailberger, S./ Nix, D. (2013): Lesen und Leseförderung in der Primar- und Sekundarstufe 1. In: Gailberger, S./ Wietzke, F. (Hrsg.): Handbuch kompetenzorientierter Deutschunterricht. Weinheim und Basel: Beltz, S. 32-69.

Rosebrock, C./ Nix, D. (2008): Grundlagen der Lesedidaktik und der systematischen Leseförderung. Baltmannsweiler: Schneider.