Die Stiftung Digitale Spielekultur im Gespräch

Die Stiftung Digitale Spielekultur im Gespräch

 

Ein Gespräch über das literarische Quartett der Zukunft, Spielen im Unterricht und unmenschliche Bleiwüsten

Was haben digitale Spiele mit dem Lesen zu tun? Mehr als man denkt! In digitalen Spielen werden gute Geschichten erzählt. Zu vielen Games gibt es Bücher. Und auch bei digitalen Spielen gilt: Wer lesen kann, ist klar im (Spiel)Vorteil.

Ein Gespräch mit Benjamin Rostalski, Projektmanager in der Stiftung Digitale Spielekultur, über das literarische Quartett der Zukunft, Spielen im Unterricht und unmenschliche Bleiwüsten.

Die Stiftung Digitale Spielekultur organisiert viele Projekte im Bereich Literatur und digitale Spiele. Wie stellen Sie die nicht auf den ersten Blick offensichtliche Verbindung zwischen den beiden Bereichen her?

Wir haben seit zwei Jahren eine Kooperation mit dem Internationalen Literaturfestival in Berlin. Ausgangssituation dafür war die Feststellung, dass in unserem Umfeld viele Leute, die gerne spielen, auch gerne lesen. Und da wir auch anderen Literaturinteressierten die Gemeinsamkeiten zwischen Literatur und Spielen zeigen wollten, haben wir uns für eine Zusammenarbeit entschieden. Spiele sind ein narratives Medium, erzählen großartige Geschichten und haben zusätzlich noch das Element der Interaktivität. Einerseits ist das eine große Chance, andererseits aber auch eine Hürde. Gerade für Leute, die nicht mit diesem Medium aufgewachsen sind, muss man diese Hürde senken. So entstand die Idee mit den ‚Spielungen‘.

Was muss man sich unter einer Spielung vorstellen?

Das Format der Lesung ist ja bekannt: Man geht irgendwohin, der Autor liest Auszüge aus seinem Werk vor und man hört ihm zu. Danach ist man vielleicht motiviert, das Buch zu kaufen oder es zu lesen. Wir dachten uns, dass man dasselbe auch mal mit Spielen machen könnte, also statt Lesungen eben Spielungen. So haben wir beim Literaturfestival im September 2013 vier Spiele ausgewählt und live vorgespielt, darunter „Limbo“ oder „The last of us“. Bei „Limbo“ haben wir zum Beispiel eine simulierte Prüfsitzung wie bei der USK gemacht und das versammelte Publikum musste nach der Präsentation und Diskussion eine Altersfreigabe für das Spiel vergeben. Nach den Spielungen wurde diskutiert und das Ganze mit einem „Literarischen Quartett der Zukunft“ abgerundet. Dabei haben wir das Format des literarischen Quartetts, bekannt aus dem Fernsehen, in die Spielewelt übertragen und einen Autor und eine Autorin jeweils mit einer Person aus dem Games-Bereich ins Gespräch gebracht. Das Konzept haben wir in diesem Jahr weiterentwickelt und Autoren unterschiedlicher Genres aus aller Welt gebeten, uns ihr ideales Computerspiel zu beschreiben. Sie mussten sich dabei an keinerlei Vorgaben, was beispielsweise die technische Umsetzung betrifft, halten. Bei manchen Entwürfen hat man sich zwar gefragt, ob daraus jemals ein Spiel werden könnte. Aber das war ja nicht der Punkt. Lesbar und interessant waren die Entwürfe allemal. In dem Band „New Level. Computerspiele und Literatur“, herausgegeben von Thomas Böhm, wurden die Entwürfe auch veröffentlicht.

Was ist die Zielrichtung der Projekte der Stiftung Digitale Spielekultur?

Wir wollen aufzeigen, dass digitale Spiele ein gleichwertiger Beitrag zum Gesamtkanon der Medienlandschaften sind. Digitale Spiele können genauso Trash und Hochkultur sein wie das bei Literatur und allen anderen Mediengattungen der Fall ist. Deshalb plädieren wir für die Betrachtung des einzelnen Werkes und nicht dafür, das Medium generell abzutun. Wir möchten ein Bewusstsein vor allem bei medienfernen Menschen wecken, dass Games sehr wohl auch Kultur sein können. Sie sind ein Kulturgut, weil sich Millionen Menschen in ihrer Freizeit und/oder beruflich mit ihnen befassen. Es gibt so viele um die digitalen Spiele herum gelagerte Aspekte, wie beispielsweise die Fankultur mit dem Cosplaying, Modding oder die Speed-Run-Community. Dann gruppieren sich noch einmal so viele Subkulturen oder Unterbereiche um das Spielen selbst, die ihrerseits wiederum riesig sind. Es ist eine globale Kultur, die Millionen Menschen umfasst, die ihr Herzblut dort investieren. Deshalb kann man schon von einem eigenen Kulturbereich sprechen. Spiele sind sozusagen eine Art Querschnittmedium, weil sie verschiedene Elemente, wie Storytelling, Artwork, technologische Komponenten, Audiodesign, das Moment der Interaktivität, User interaction und so weiter in sich vereinen.

Wir werden oft von unseren Multiplikatoren auf die Risiken von digitalen Spielen angesprochen. Was raten Sie Eltern und Lehrkräften?

Dass Grenzen beim Spielen durch die Erziehungsberechtigten gesetzt werden, ist absolut legitim. Kinder brauchen reale Anregungen durch die echte Welt und sollen nicht den lieben langen Tag nur vor verschiedenen Bildschirmen sitzen. Dennoch ist es wichtig, dass sich Eltern, Lehrer, Erzieher mit dem Medium beschäftigen und auch mal selbst spielen, sonst werden sie irgendwann von der jüngeren Generation nicht mehr ernst genommen, weil sie sich selbst nicht auskennen.

Eine frühe Medienerziehung ist sinnvoll, setzt allerdings voraus, dass zusammengespielt und von der älteren Generation Interesse gezeigt wird. So ein Rollentausch ist super. Das Kind wird zum Experten und kann den Eltern das Spiel erklären, es fühlt sich ernst genommen. Manchen Eltern geht dadurch auch ein Licht auf und sie erkennen den positiven Wert von digitalen Spielen.

Was Spiele mit Gewaltdarstellungen generell betrifft, so ist unsere Meinung, dass ein Kulturgut auch ein Tabu brechen kann und es auch dürfen muss, solange der Jugendschutz gewährt ist. Deswegen arbeiten wir auch eng mit der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle zusammen und machen uns für die strikte Einhaltung der Alterskennzeichnungen digitaler Spiele stark. Aber Darstellungen von Gewalt und – in Spielen übrigens überaus selten und meist recht zahm – Sexualität spielen in der Kunstgeschichte eine überragende Rolle. Ein Kulturgut, das sich und seine inzwischen mehrheitlich volljährigen Nutzer ernst nimmt, darf auch diese Motive verwenden. Durch virtuelle Grenzüberschreitungen in einem Spiel reflektiert man auch sein eigenes Handeln in der realen Welt. Das können interaktive Spiele als Medium sehr gut vermitteln. Wir glauben, dass im Spielen sehr große Chancen schlummern, die viele noch immer nicht sehen, und dass bei digitalen Spielen für jede Zielgruppe etwas dabei ist – Familien-Unterhaltung genau wie Unterhaltung, die sich klar an Erwachsene richtet. Man kann durch Spielen Qualifikationen erwerben und überwindet Hemmschwellen bezüglich des generellen Umgangs mit digitalen Medien.

Wie lassen sich Games für z. B. Lernzwecke einsetzen?

Lernspiele an sich können eine feine Sache sein, die nur leider immer wieder falsch angepackt wird. Spieler haben ausgeprägte Sensoren für die versteckte Lehrabsicht, die dahintersteckt. Sie merken sehr schnell, dass zuerst die Botschaft da war und dann eine ganz simple Spielmechanik drauf gepfropft wurde. In der Regel funktionieren solche Spiele nicht. Viel eher sollte man das Medium thematisieren und die Jugendlichen dort abholen, wo sie sind. Viele Jugendliche sind spielbegeistert, nicht alle, was völlig okay ist. Aber diejenigen, die es sind, kann man vielleicht mit einem Referat zu ihrem Lieblings-Computerspiel eher begeistern als mit einer Buchvorstellung. Zudem sollte man die Kompetenzen würdigen, die Schüler haben, und nicht gleich die Moralkeule auspacken oder das Referat schlechter bewerten, weil ein Computerspiel vorgestellt wurde. Auch im Fremdsprachenunterricht bieten sich Computerspiele an. Viele Spieler haben durch Spiele ihr Englisch gelernt, da nicht alle Spiele eingedeutscht sind. Oder man macht mal eine Theateraufführung zu einem Computerspiel. Die Einsatzmöglichkeiten sind vielfältig.

Unser Vorschlag wäre daher, dass man Spiele so in den Unterricht integriert, wie man es eben mit einem Film oder einem Buch handhabt – nämlich als Gegenstand des Schulunterrichts.

Und wie sieht es bei den digitalen Spielen mit dem Lesen aus?

Von der Nutzerseite her gibt es sehr große Überlappungen. Man ist beispielsweise so sehr fasziniert oder gefesselt von einem Spiel, dass man auch unbedingt Romane dazu lesen möchte. Das haben wir ja bei ‚World of Warcraft‘ erlebt. Im Gegensatz zu Deutschland, wo man von ‚Medienkompetenz‘ spricht, wird im angelsächsischen Raum passender von einer media literacy gesprochen. Durch den Begriff ‚literacy‘ wird praktisch schon auf die Lesekompetenz oder Lesefähigkeit verwiesen. Zuletzt geht es beim Spielen auf einer sehr weiten Metaebene darum, Codes zu entschlüsseln und das Präsentierte zu lesen.

Es gibt also eine Art Games Literacy?

Oft ist es so, dass der Reiz eher auf der ludischen als auf der narrativen Ebene liegt. Diese Ebene des Spiels zu begreifen, die Spielmechanik, die Challenge, den Konflikt, der in dem Spiel steckt, das Gameplay, was man tun muss, um den Konflikt wie zu seinen Gunsten zu entscheiden: Das ist eine eigene Kompetenz. Diese kann nur aufgebaut werden, wenn man tatsächlich und mit intrinsischer Motivation spielt. Zudem ist es eine Genussfähigkeit, die erst einmal ausgebildet werden muss. Damit tun sich natürlich Menschen, die diesem Medium kritisch gegenüberstehen oder nicht damit aufgewachsen sind, schwer.

Stellt man sich nun aber mal eine „verkehrte Welt“ vor, in der die Medienevolution andersherum gewesen wäre. Also zuerst gab es das moderne Computerspiel und dann die Bücher. Eltern wären vielleicht gleichermaßen entsetzt. Denn die armen Kinder würden auf einmal Bücher lesen und müssten ohne Interaktivität, ohne Videos oder Bilder auskommen und sich alles im Kopf vorstellen, ganz allein in einer reizarmen, unmenschlichen Bleiwüste. Wie anstrengend!

 

 Zum Autor

Benjamin Rostalski ist Projektmanager bei der Stiftung Digitale Spielekultur und betreut dort unter anderem das Awardbüro des Deutschen Computerspielpreises.