Film und Lesen

Miriam Holstein: Film und Lesen

 

Visual Literacy und Leseförderung

Jugendliche haben eine besondere Affinität zum Medium Film, es ist eines ihrer zentralen Leitmedien. Via Smartphone über Portale wie YouTube oder Netflix sind Filme und Videos in ihrem Leben allzeit und überall präsent. Sie setzen Themen, sind wichtige Trendsetter und beeinflussen die Kommunikation der Jugendlichen untereinander maßgeblich. Und auch der eigene produktive Umgang mit dem Medium Film gehört zum Alltag vieler Jugendlicher: Noch nie war es so einfach, selbst Videos zu drehen. Kein Smartphone, das nicht mit einer Kamera ausgestattet ist, und Apps zum Schneiden und Montieren von Filmen sind leicht zugänglich.

Wie die aktuelle JIM-Studie (Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest, 2016) zeigt, beschäftigt sich jeder zweite Jugendliche zwischen zwölf und 19 Jahren täglich mit Online-Videos. Drei Viertel der Jugendlichen sehen sich regelmäßig Videos auf dem Smartphone an und drei Fünftel schauen Filme oder Videos bei Streaming-Diensten. Für 27 Prozent stehen das Anschauen von DVDs oder aufgezeichneten Filmen oder Serien mindestens mehrmals pro Woche auf dem Programm.

Die sogenannte „Visual Literacy“ ist daher ein integraler Bestandteil von Medienkompetenz. Darunter versteht man die Fähigkeit, Bilder lesen zu können und ihre Bedeutung zu erschließen. Sie kann mit Fotografien oder Bilderbüchern geschult werden, in besonderem Maße aber durch das Sehen von Filmen und den produktiven Umgang mit dem Medium.

Die große Attraktivität von Filmen und Videos für Jugendliche bietet ein großes Potenzial für die Leseförderung. Denn die Beschäftigung mit Büchern und Filmen lässt sich auf vielfältige Weise in Projekten miteinander kombinieren und beide Medien befruchten sich wechselseitig.

Zuallererst sind Filme in besonderem Maße in der Lage, Lesemotivation zu wecken. Ist es über einen Film gelungen, das Interesse an einem bestimmten Stoff oder Thema zu wecken, erhöht das die Bereitschaft, zu einem Buch zum Thema zu greifen, um dort Bekanntes wiederzuentdecken, zu vertiefen oder weiterzuverfolgen. So schaffen es bspw. Bücher über Film-Phänomene wie „StarWars“, auch bei lesefernen Jugendlichen die Hürde zum Buch abzubauen und Lust aufs Lesen zu machen.

Es zeigt sich, dass Jugendliche verstärkt zu Büchern greifen, die auch verfilmt wurden oder auf Filmen basieren. Zu den meistgelesenen Büchern der Altersgruppe gehören Titel wie „Die Tribute von Panem“ oder der Roman „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“. Wenn Leselust über Filme erst einmal geweckt wurde, ist es nicht nur spannend, sondern auch sehr lehrreich, Unterschiede zwischen Buch und Film zu erforschen. Darüber wird das genaue Hinsehen geschult, die Fähigkeit zum tatsächlichen Lesen der Bilder, aber auch die genaue Textwahrnehmung. Das Entdecken der charakteristischen Unterschiede von filmischem und literarischem Erzählen fördert das Verständnis beider Medien.

Zudem lassen sich Film und Buch auch in spielerischen und gestalterischen Projekten hervorragend miteinander kombinieren und bieten zahlreiche Möglichkeiten zum Vertiefen von Medienkompetenz. Denn Filme bieten natürlich vielfältige Anlässe für produktive Textarbeit. Sie erzählen Geschichten, die sich fortschreiben lassen, ihre Charaktere bieten Inspiration für eigene Texte, im Setting des Lieblingsfilms könnten andere Figuren ganz neue Abenteuer erleben und Vieles mehr.

In handlungsorientierten Projekten können Jugendliche filmische Gestaltungsmittel kennenlernen. Indem sie bei der Produktion eines Kurzfilms in die Rolle von Schauspieler, Kameramann oder Drehbuchautor schlüpfen, werden sie Filme künftig auch anders rezipieren.

Stoffe und Geschichten aus Büchern bieten dabei hervorragende Ansatzpunkte für eigene filmische Projekte. Vom Drehen einer Buchrezension als Vlog-Beitrag bis zur Verfilmung einzelner Szenen oder ganz neuer Abenteuer der Protagonisten.

Und auch bei der Realisierung eines filmischen Projekts wimmelt es nur so von spannenden Lese- und Schreibanlässen. Nicht nur bei der Wahl des Themas bietet Lesen viel Inspiration, sondern ist auch bei der weiteren Recherche zu dessen inhaltlicher Umsetzung und der filmsprachlichen und technischen Realisierung unverzichtbar. Hier lassen sich in Büchern und bei Internetrecherchen viele wertvolle Tipps und Infos entdecken.

Steht die Idee für den Plot erstmal, werden Handlungsablauf, Schauplätze und Charaktere des Films im sogenannten „Treatment“ schriftlich fixiert – nicht, dass man die sorgsam gesuchten Ideen wieder vergisst! Und dann geht es weiter mit den Schreiben – denn ohne Drehbuch läuft nichts beim Film. Wie verläuft die Handlung im Detail, welche Entwicklung durchleben die Figuren im Einzelnen und natürlich ganz wichtig – wie sehen die Dialoge aus? Über all das bietet das Drehbuch Aufschluss. Bei der anschließenden Visualisierung des Drehbuchs als Storyboard, in dem dann die einzelnen Filmszenen mit Kameraperspektive etc. festgelegt werden, ist neben den entsprechenden Skizzen natürlich auch das schriftliche Festhalten wichtiger Infos unverzichtbar.

Und nicht zuletzt bei der Vorbereitung der technischen Dimension des Drehs und des Schnitts können Bücher und Informationen aus dem Netz wertvoll sein, um Fragen zu Themen wie Beleuchtung, Ton und Filmschnitt zu klären.

 

Zur Autorin

Miriam Holstein betreute viele Jahre den Schwerpunkt Filmbildung bei der Stiftung Lesen. Seit 2015 ist sie als freiberufliche Autorin, Redakteurin und Projektmanagerin tätig.